Anmerkungen zu Altvater und Zeliks „Vermessung der Utopie“

Eine interessante Annäherung an die „S“ Frage nach „einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus“ verspricht Elmar Altvaters und Raul Zeliks „Vermessung der Utopie – Mythen des Kapitalismus und die kommende Gesellschaft“. Der auch im Netz zum freien Download bereit stehende Text basiert auf Mitschnitten von Gesprächen, was entschieden zu dem sympathischen Charakter des Sich-Vorwärts-Tastens beigetragen haben dürfte.

Als (guter) Einstieg sei die Lektüre der voran gestellten 10 Thesen empfohlen.

Nun also zu meinen Anmerkungen:

1) Meine erste Anmerkung bezieht sich auf den Werbetext in dem es heißt:

Ob Klimawandel, industrielle Überkapazitäten, Arbeitslosigkeit oder Verteilung des Reichtums – der »freie Markt« scheint grundlegende soziale und wirtschaftliche Probleme nicht ­lösen zu können.

Nun sind Klappentexte natürlich notwendig verkürzt. Dennoch:  Das zu lösende Problem wäre mit dem Hinweis präziser beschrieben, dass  „der freie Markt“  grundlegende  soziale und wirtschaftliche Probleme nicht nur nicht löst sondern diese mit größtmöglicher Effizienz schafft.

2) In These 3 der 10 Thesen heißt es:

„Das Problem eines linken Gegenentwurfs besteht also nicht darin, dass er unrealistisch wäre. Unrealistisch ist, so weiter zu machen wie bisher und um der Kapitalmehrung willen Natur und Menschen immer umfassender in Wert zu setzen. Das Problem des linken Gegenentwurfs ist, dass es hier um Macht geht.“

Der Blick auf katastrophale Wirkungen der „In Wert Setzung“  von Natur wie etwa Tropenholz, Böden in trockenen Regionen (für die über saisonale Versorgung mit „Südfrüchten“ oder Baumwolle), Meeresfrüchte usw. aber auch menschlicher Arbeitskraft ) oder auch von Kultur (indigenes Wissen um Naturschätze, „Beziehungsarbeit“, gemeinsames Musizieren usw.)  sollte nicht dazu verführen, einen Haupt-Gegensatz zwischen einer paradiesischen Sphäre des Natürlichen und einer Sphäre  des barbarisch „In-Wert-Gesetzten“ zu konstruieren. Das sei hier nicht unterstellt. Aber eine klare Abgrenzung täte Not.  Denn natürlich ist es nicht egal, welche sozialen Kräfte und Rechtfertigungsbeziehungen  innerhalb des „In-Wert-Gesetzten“ wie wirken bzw. zu verändern wären.

3.) zu These 4. Dort heißt es u.a.

Das heißt nicht, dass die im Rahmen neoliberaler Politik privatisierten Betriebe wieder in staatlichen oder kommunalem Besitz übergehen müssten. Aus demokratischer Perspektive interessanter und wahrscheinlich auch ökonomisch effizienter sind genossenschaftliche oder gemeinschaftliche Eigentumsformen. Im Gesundheitswesen könnte beispielsweise ein konkreter Schritt im Aufbau einer demokratisch – von Gesundheitsarbeitern und Patienten – verwalteten Bürgerversicherung bestehen, in die alle Menschen gemäß ihres Einkommens einzahlen.

Ohne weiteres ist es für mich nicht einsehbar, wieso „staatlicher und kommunaler Besitz“ für alle Zukunft ineffizient und einer (ökologisch kompetenten) sozialen Kontrolle unzugänglich sein muss. Hier wäre besser die Notwendigkeit formuliert, gemeinsam heraus zu finden, was bei verschiedenen staatlichen oder zivilen „Eigentumsformen“ für die Entwicklung einer hinreichenden (und hinreichend ökologisch kompetenten) sozialen Kontrolle bzw. Mitbestimmung geschehen, welche bestehenden Entwicklungen dafür gestärkt und was dafür auch neu „erfunden“ werden müsste.  Dabei stellt sich die Frage, für welche Bedürfnisse und Interessen jeweils Möglichkeiten der institutionellen (Mit-) Bestimmung von  Zweck,  Mittel und Nebenwirkungen erweitert oder neu geschaffen  werden sollten. Bei einer selbst verwalteten Krankenversorgung könnten das z.B. durchaus über den Kreis der Gesundheitsarbeiter und Patienten hinaus reichen.

3) Zu These 6. Dort heißt es u.a.

Die technische Entwicklung macht es möglich, dass heute mehr Güter mit weniger Arbeit hergestellt werden. Vor diesem Hintergrund ist die gewerkschaftliche Forderung „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ ziemlich absurd. Es gilt vielmehr, den vorhandenen gesellschaftlichen Reichtum und die weiterhin notwendige Arbeit anders zu verteilen. Die Instrumente dafür sind seit Langem bekannt (und zum Beispiel in André Gorz’ „Kritik der ökonomischen Vernunft“ nachzulesen): Verringerung der Arbeitszeit, Grundeinkommen, Mindestlohn, faire Verteilung fremdbestimmter Tätigkeiten etc.

4) Alles richtig. Für die  „Vermessung einer postkapitalistischen Utopie“ bzw. Erörterung der für  eine Ökonomie der ökologisch reflektierten Mitmenschlichkeit zu gehenden oder auch zu ebnenden Wege gehört m.E. auch auch zentral die Frage nach sozialen Formen der (Mit-) Bestimmung der Verwendung (und Kosten!) von Produktivitätsgewinnen.

Die „Eigentumsfrage“ wird allerdings in These 10 noch einmal explizit gestellt:

All diese Punkte sind mit der Eigentumsfrage verschränkt: Entscheidungs- und Herrschaftsstrukturen einer Gesellschaft haben immer auch mit Eigentumsformen zu tun (wobei es hier nicht um Eigentum am eigenen Wohnhaus oder am kleinen Handwerksbetrieb geht). Eine Gesellschaft, die auf Privateigentum von Produktionsgütern beruht, bringt enorme Reichtums- und Machtkonzentrationen hervor. Aber auch die auf Staatseigentum beruhenden Gesellschaften haben sich unfähig zur Demokratisierung erwiesen. Es muss also darum gehen, das gesellschaftliche Eigentum neu zu bestimmen und zu erfinden. Die Verwaltung von Eigentum muss in einem solchen, überschaubaren Rahmen stattfinden, dass Produzenten, Konsumenten und gesellschaftliche Akteure demokratisch über den Einsatz des Eigentums bestimmen können.

5) Was allerdings die Frage aufwirft, was in der globalisierten Welt „Überschaubarkeit“ bedeutet bzw. wie diese ohne eine Fetischisierung des Regionalismus und einer auf „Klein ist immer fein“  Fixierung herstellbar wäre.

(…)

Nach  nunmehr etwa 2 Jahren möchte ich das damals aus Zeitgründen Versäumte nunmehr nachholen, und einen etwas tieferen Blick in das Gesprächsprotokoll werfen. Der von  Raul Zelik als Ausgangspunkt gewählte Auszug aus einem Text von Dietmar Dath ist schon einmal sehr vielversprechend

Zelik:  Dietmar Dath, einer der wenigen jüngeren deutsch sprachigen Schriftsteller, die heute deutlich antikapitalistische Positionen beziehen, hat 2008 das Buch »Maschinenwinter. Streitschrift für den Sozialismus« veröffentlicht. Darin heißt es:

Dath: » Selbstverständlich ist eine Gesellschaft schweinisch, die einerseits für ihre Spitzensportler Laufschuhe mit eingebauten Dämpfungscomputern bereitstellt, andererseits aber alten Frauen mit Glasknochen die Zuzahlung zum sicheren Rollstuhl verweigert und einen Pflegenotstand erträgt, für den sich tollwütige Affenhorden schämen müssten. (…) Selbstverständlich ist eine Gesellschaft widerlich, die all diese Dinge sogar in ihren leidlich gepolsterten Gewinnergegenden zulässt; (…) doch unanständig, schweinisch, obszön, widerlich: Davon rede ich nicht.

Moral ist Glückssache und setzt Deckung der wichtigsten Lebensbedürfnisse voraus; meistens hat man andere Sorgen. Ich rede (…) davon, dass das alles nicht vernünftigist und deshalb nicht funktionieren kann. Wer es sich kalten Herzens, wachen Auges anschaut und dann noch ruhig zu verneinen imstande ist, dass möglich sein muss, die Dinge besser einzurichten, ist nicht böse, sondern entweder faul genug, sich betrügen zu lassen, oder vom Geburtszufall ausgelost worden, die im Ganzen seltene, vorläufig aber noch ganz einträgliche Elendsgewinnlerei betreiben zu dürfen, an der dieses Ganze krankt.« (S.16)

Dazu Zelik:

„Das scheint mir ein guter Ausgangspunkt zu sein: Das System, in dem wir leben, das wir leben, das durch uns lebt, ist nicht in erster Linie unmoralisch. Es ist vor allem unvernünftig,  irrational, ineffizient.

Demnächst mehr

Schon wieder ein Jahr ist vergangen! Also Zeit für einen erneuten Blick in die Vermessung der Utopie.

Noch einmal ein Blick auf die Seiten vor dem oben zitierten.

Raul Zelik: Ein Nicht-Ort, »ein Land, das noch nicht ist«, lässt sich schlecht ausmessen. Vielleicht aber lässt sich zunächst bestimmen, wo dieses Land nicht liegt. Denn ich glaube, die gescheiterten Emanzipationsversuche in der Geschichte der Menschheit erlauben so etwas wie eine negative Vermessung; man kann daran ablesen, wie es nicht geht. (S.7)

6) Das kann nicht oft genug betont werden. Mehr (Öko-)Kommunismus zu wagen verlangt nach einer genauen Vermessung des so genannten „Realsozialismus“.

Elmar Altvater: „Wir müssen die Erde umgestalten, sie sozusagen ökologisch herrichten. Denn in den wenigen Jahrhunderten seit der fossilen und industriellen Revolution ist die Natur rücksichtslos ausgebeutet worden. Wir müssen die Klimakatastrophe verhindern und dafür sorgen, dass der sich verschärfende Kampf um Rohstoffe nicht in ein Gemetzel mündet. Wir müssen verhindern, dass Finanz- und Wirtschaftskrise die sozialen Gegensätze nicht noch weiter verschärfen. (S. 9-10)

(…)

Wir brauchen also eine Reflexion über utopische Entwürfe und müssen beantworten können, inwieweit diese Entwürfe einigermaßen realistisch sind. Ob sie tauglich sind, müssen wir daran messen, ob sie den Menschen ein gutes Leben ermöglichen – in ökologischer, sozialer, politischer Hinsicht. Ob sie ermöglichen, die Grundbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen, die Natur zu bewahren – aber auch, ob sie zu einer herrschaftsfreien Welt führen, in der die Menschen ihr Leben, auch ihr Arbeitsleben, selbst gestalten können und nicht nur Untertanen sind (S.10-11)
 
7) Nunja, die Frage ist, was es beuten soll, das Leben und Arbeitsleben „selbst“ zu gestalten. Vom (öko-) kommunistischen Gedanken, MITEINANDER zu bestimmen, was die Zwecke Mittel, Orte, oder der Umfang  des Arbeitslebens und welcher Art (Umfang usw.) der Genuss seiner Ergebnisse oder die Verantwortung für die ökologischen Voraussetzungen und Wirkungen des Ganzens sein sollen, scheint mir dieses Utopiemaß noch meilenweit entfernt.
 
Zurück zur Zeliks Diagnose der Unvernunft:
„Das System, in dem wir leben, das wir leben, das durch uns lebt, ist nicht in erster Linie unmoralisch. Es ist vor allem unvernünftig, irrational, ineffizient“
Dazu Elmar Altvater:
„Das ist seit Beginn des Bürgertums bekannt. (…) Nicht die Tugend, sondern das lasterhafte, das »schweinische« Verhalten hält den ökonomischen Kreislauf in Gang und steigert so den »Wohlstand der Nationen«. Wo es kein Verbrechen gibt, braucht man keine Schlösser, wo es keine Schlösser gibt, braucht man keinen Schlosser, und wo es keinen Schlosser braucht, gibt es keine Arbeit. (…) eine Gesellschaft, die das private Laster – die Verdrängung des Anderen – braucht, um eine öffentliche Tugend – ökonomischen Zugewinn – herzustellen, kann aber nur unvernünftig sein.“ (S.16)
8) Für die erkenntnisfördernde Erörterung dieser Aussage halte ich es für geboten, einmal kurz den Heiligenschein wegzudenken, den das Wörtchen „Vernunft“ in der Regel umgibt. Vernunft ist nichts anderes als Zweckdienlichkeit. Das Problem kapitalistischer Formen der Vergsellschaftung ist eben, dass die UNTERSCHIDLICHEN Zwecke und was dem dienlich sein soll nicht im Rahmen von Übereinkünften bewusst bestimmt und entsprechend wenig bewusst nachvollzogen werden (können).
 
Raul Zelik: „Man könnte es auch so ausdrücken: Die Marktwirtschaft ist ein paradoxes System. Der Markt existiert, weil wir die anderen, weil wir die Gesellschaft brauchen. Von den Früchten seiner spezialisierten Arbeit kann niemand leben. Kein Bäcker kann tausend Brötchen am Tag essen. Und ein Büroangestellter zieht überhaupt keinen Gebrauchswert aus den von ihm durchgearbeiteten Dokumenten. Erst durch die Vergesellschaftung unserer Arbeit erhält diese einen Nutzen.
 
Paradoxerweise funktioniert die Vergesellschaftung unseres Lebens über den Markt, wo wir uns als Konkurrenten begegnen und Verdrängungskämpfe miteinander oder besser: gegeneinander führen. Die Arbeitsteilung beruht also auf Kooperation – der Markt hingegen auf Konkurrenz und Kampf.“ (S. 17)
9) Dass es innerhalb von bestimmten Vergesellschaftungsweisen gegensätzliche Elemente gibt, wie eben Konkurrenz und Kooperation macht sie nicht zu einem paradoxen System. Ist Fußball ein paradoxes System?
 
Dass unser kapitalistisches Füreinander unter Konkurrenzbedingungen ausgefochten wird macht es erst einmal erfrischend effektiv. Die Entwicklung der Produktivkräfte wird auf diese Weise vorangetrieben, die materiellen Grundlagen menschlichen Reichtums erweitern, Patronage und Korruption zersetzt. Konkurrenz und Kooperation als gute und böse Prinzipien vorzustellen, birgt die Gefahr der selektiven Wahrnehmung, d.h. der Ausblendung vorerst unpassend erscheinender Wahrheiten.
 
Marx (und Engels) konstatierten einen Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privaten Form des Aneignens seiner Produkte mittels Kauf und Verkauf bzw. (tausch-)wertproduktivem Konsum des menschlichen Vermögens zum gebrauchswertproduktiven Stoffwechsel mit der Natur. Dass also Produktion und Konsum nicht durch ein bewusstes Miteinander vermittelt werden, sondern mittels eines zu zahlenden Geldpreises, dem den – unter Konkurrenzbedingungen – notwendige Arbeitsaufwand zugrunde iiegt, und dem Kalkül unterliegt,  mittels Befriedigung privater (also nicht in einem bewussten Miteinander legitimierter) Bedürfnisse aus Geldbesitz (Kaufkraftbesitz) mehr Geldbesitz (Kaufkraftbesitz) zu machen.
 
Heißt: die Frage nach den Zwecken des kapitalistischen Füreinanders, der einzusetzenden Mittel, der Wahl der Produktionsstandorte und -zeiten, der dabei zu akzeptierenden oder eben nicht mehr zu akzeptierenden Umweltbelastungen, Arbeitsbedingungen usw. kann  nicht gesellschaftlich, das heißt nicht im diskursiven, reflexiven Miteinander also z.B. trotz längst realisierter Globalisierung nicht weltgemeinschaftlich entschieden werden, sondern im Wesentlichen nur privat, d.h. frei von der Last, sich für die (welt-) gesellschaftliche bzw. ökologischen Voraussetzungen und Wirkungen der eigenen Bedürfnisbefriedigung  rechtfertigen zu müssen.
 
Das geht nicht gegen DIE Konkurrenz als ein vermeintlich falsches, inhumanes usw. und daher als Solche zu überwindende Prinzip sondern zielt auf die Frage nach der historischen Rationalität privateigentümlicher Konkurrenz um die Bestimmung der (Re-) Produktionszwecke, -mittel, -methoden, -orte. Oder der jeweiligen Nebenwirkungen sozialer bzw. ökologischer Natur!  Keine moderne Gesellschaft kann auf gewichtige Anreize zur Beschleunigung der Produktion verzichten, wie sie die kapitalistische Konkurrenz zweifellos bewerkstelligt.
 
Der anzupeilende Fortschritt kann nur in der Etablierung (welt-) gemeinschaftlicher Entscheidungskompetenz bestehen d.h. unter anderem in der Frage, was mit welchen Mitteln (wo usw.) be- und was entschleunigt bzw. wachsen oder schrumpfen soll. Welche Formen, Reichweiten usw. dabei Kooperation und Konkurrenz jeweils annehmen (müssen), ist dann eine praktische Frage, die sich in dem Prozess der Etablierung (welt-) gemeinschaftlicher Steuerungskompetenz ergibt. Es sollte klar sein, dass dabei „Verdrängung des weniger Fitten“ seinen Schrecken verlieren, heißt, ein Zustand erreicht werden muss, wo Verdrängung nicht mehr in existenziellen Nöte stürzt, sondern im Gegenteil diese beseitigt.
„In den Krisen zeigt sich jedoch die verschwenderische Seite des Marktes auf drastische Weise: In den letzten Monaten sind Werte in Milliardenhöhe zerstört worden. Um die Preise unverkäuflicher Waren zu halten, werden mühsam hergestellte Güter vernichtet – gerade auch Nahrungsmittel.“
Das ist natürlich wahr. Aber auch ohne Überproduktionskrisen steht die Frage nach einer grundsätzlichen Transformation von (Mit-) Bestimmungsfreiheit.
Elmar Altvater: „Warum nun ist eine Marktwirtschaft verschwenderisch? Weil ihre Teilnehmer einer mikroökonomischen Rationalität folgen, die mit der makroökonomischen Vernunft nicht deckungsgleich ist.“ (S.18)
Bald mehr

(…)

 Und dieses Bald währte also wieder über ein Jahr.
 
10) Die letzte Bemerkung Elmar Altvaters trifft natürlich den Kern der Sache, nur, dass m.E. betont werden sollte, dass diese Mikrofixiertheit Ausdruck der privateigentümlichen Aneignungsbedingungen ist also u.a. der Privateigentümlichkeit von Konkurrenz, und dass diese immer noch in erster Linie nationalstaatlich reguliert wird.
 

Raul Zilek wirft ein:

Das ist der Grund, warum der Staat selbst in den liberalsten Ökonomienweiter eine bedeutende Rolle spielt. (S. 19)

11.) Die Bedeutung des Charakters staatlicher Apparate, Regularien,Tätigkeiten, Abhängigkeitsverhältnisse usw. für die Frage der sozio-ökologischen bzw. gesamtgesellschaftlichen Rationalität (=Zweckdienlichkeit) von Produktion und die Frage möglicher Bedeutungswandel von Staatshandeln in dieser Hinsicht, ist an dieser Stelle allerdings kein Thema. (Vielleicht aber kommt das Gespräch später darauf zu sprechen. Den Rest meiner Auseinandersetzung mit dem insgesamt doch sehr anregenden Vermessungsgespräch wird nun hoffentlich nicht erneut in von Jahr zu Jahr aufgelesenen Häppchen geschehen, so dass ich in der Hinscht bald aufgeklärter sein werde)

Als zentrale Quelle makroökonomischer Irratationalität identifiziert Elmar Altvater im Anschluss als zentrales Strukturmerkmal  kapitalistischer Vergesellschaftung, dass stofflich-energetischen Prozesse kapitalistischen Wirtschaftens begrenzt sind, aber:
Dem gegenüber steht die ungeheure Dynamik der wertmäßigen, monetären Ökonomie, die nur vom Eigeninteresse der Akteure bestimmt wird – ganz so, als seien diese Interessen losgelöst von der stofflich- natürlichen Seite. (S. 20)
Dies schaffe auch die Illusion der Möglichkeit grenzenlos wachsender Bereicherung.
„… die Forderungen, die sich monetär erzeugen lassen, sind grenzenlos. Das Geld angebot kann heutzutage sehr leicht gesteigert werden. Man muss nicht mehr in der Erde buddeln, um Gold herauszuholen. Man braucht nicht einmal mehr Papierzettel. Geld kann einfach immateriell, in Form von Bits und Bytes,erzeugt werden. (ebd.)

12.) Was hier m.E. fehlt, ist eine Unterscheidung zwischen einerseits privateigentümlichem und andererseits (öko-) kommunistischem (oder wer den Begriff nicht mag: mitmenschlichem und ökologisch verantwortlichem) Eigeninteresse. Außerdem besteht das privateigentümliche Eigeninteresse auch bezüglich der stofflich-energetischen (bzw. ökologischen) Seite. Und es sollte gezeigt werden können, welch Hindernis die monetäre Form der Vermittlung von privateigentümlicher Produktion und Konsumtion (deren Ermöglichung und Garatie usw.) für die Herausbildung (öko-) kommunistischer Eigeninteressen bildet.

13.) Raul Zilek kritisiert die fehlenden Aussagekraft des Brutto-Inlands-Produktes (BIP) für eine rationale Bestimmung von Wohlstand, Dessen Irrationalität würde z.B. an der Kennzeichnung von Unfallfolgen als wirtschaftliches Wachstum deutlich. Daraus folge:
Rationale ökonomische Koeffizienten müssten auch ganz andere Aspekte berücksichtigen: Lebenserwartung, Zugang zur Grundversorgung, Verringerung ökologischer Belastung usw (S. 21)
Das Wort „Rationalität“ scheint hier mit eigenem Geist beseelt zu sein, der jenseits eines bestimmten Kontext existiert. Eine klare begriffliche Unterscheidung zwischen kapitalistischer und in der Tendenz ökokommunistischer Makrorationalität wäre hier hilfreich, Kapitalistische Rationalität kommt zum Ausdruck wo Volkswirtschaftskraft mittels BIP gemessen wird. Das BIP drückt zwar den gesellschaftlichen Arbeitsaufwand aus, der für die Gesamtheit der in einer Periode angeeigneten Güter und Dienste (unter den gegebenen Produktionsbedingungen) geleistet werden muss. Aber das basiert keineswegs auf einer mit wissenschaftlichen Methoden begründeten, mmessbaren Gegenüberstellung sozialer bzw. ökologischer Kosten (u.a. dem notwendigen Arbeitsaufwand) Risiken und dem damit erzielten oder gefährdeten Nutzen. Ökokommunistische Rationalität verlangte dagegen, die sozialen bzw. ökologischen Kosten ujnd Risiken mit (welt-) gemeinschaftlich bestimmten Zielen hinsichtlich des gewünschten Nutzens zu ergründen.
Elmar Altvater stimmt prinzipiell zu, möchte aber betont wissen, dass es auf die Möglichkeit ankäme, die Produktion tatsächlich entsprechend der gewählten Kennziffern zu gestalten. Dafür gäbe es bereits Ansätze
Das UN-Entwicklungsprogramm versucht seit Langem,den Wohlstand mit dem alternativen Indikator des Human Development Index also dem Index menschlicher Entwicklung, darzustellen. Andere versuchen, ›Glück‹ anhand von Kennziffern zu bestimmen. Eigentlich wäre es das, was eine Ökonomie zu leisten hat: Sie sollte Glück für die Menschen oder genauer: für eine möglichst große Zahl Menschen ermöglichen. (…)
Aber:
Die Versuche, Glück, Freude und Wohlbefinden zu messen, sind (…) einigermaßen frustrierend, denn solange die gesellschaftlichen Formen nicht verändert werden, nützen die Indikatoren gar nichts.“
Das habe lediglich einen propagandistischen Wert:
Das Entscheidende ist aber nicht, das durch Indikatoren zu erfahren. Nein, es geht darum, die gesellschaftlichen Formen zu verändern, damit anderen Zielen des Wirtschaftens auch in der Realität Rechnung getragen wird. Daraus folgt die alte Frage nach einer anderen, solidarischen, sozialistischen – wie
man auch immer das nennen mag – Ökonomie.(S. 22)
14.) Stimmt natürlich. Allerdings könnte sich „die alte Frage nach einer anderen, solidarischen, sozialistischen – wie man auch immer das nennen mag – Ökonomie“ aus der Verfolgung gesellschaftlich bestimmter Nachhaltigkeitsziele ergeben. Warum sollte das Bauhausmotto, dass die Form der (gewünschten) Funktion folgt, nicht Leitmotiv bei der Konstruktion einer entsprechenden Ökonomie werden können?
Dazu Raul Zelik:
„Interessanterweise sind nun aber sozialistische Ökonomien von denselben Kennziffern ausgegangen. Gerade die sozialistische Bewegung hat sich sehr für die Steigerung von Bruttosozialprodukten, für rücksichtloses Wachstum begeistert. Neue wirtschaftliche Kennziffern würden noch nichts ändern, aber immerhin verdeutlichen, wohin die Reise gehen muss. Wir würden feststellen, dass weder kapitalistische noch staatssozialistische Akkumulation etwas mit gesellschaftlichem Wohlbefinden zu tun haben.“ (S. 22)
15) Dies zeigt einerseits, dass linke Anti-Kapitalisten es auch 25 Jahre nach Ende des „realsozialistischen“ Spuks nicht der Mühe wert finden, eine inhaltlich programmatische Bestimmung dessen zu versuchen, was ihrer Meinung nach die Realität von „Sozialismus“ und was dessen Abwesenheit ausmacht. Andererseits kann sein Gedanke, dass Kennziffern für soziale bzw. ökologische Ziele sinnvoll sind, weil sie der „Verdeutlichung, wohin die Reise gehen muss“ dienen könnten, als Schritt auf den Weg einer sinnvollen  Vorstellung von Sozialismus mit (Öko-)Kommunismus-Potenzial gesehen werden. In meinen Augen wäre das ein Verständnis von Sozialismus als Übergangsgesellschaft zur (welt-) kommunistischen Bestimmung wesentlicher Produktionszwecke, -methoden, -wirkungen, -voraussetzungen usw. Ein Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung, in der die Befähigung zur gemeinschaftlichen Zweck- und Mittelbestimnmung des Weltwirtschaftens tatsaächlich weltgesellschaftlich vorherrschend wäre. (Siehe Was heißt hier “mehr (Öko-)Kommunismus wagen 😉?” bzw. Was heißt hier Sozialismus?)
 
Elmat Altvater fällt dazu ein, dass die DDR hätte …

die Ökonomie in eine andere Richtung entwickeln müssen und sich nicht am Kapitalismus orientieren dürfen. (…) Das Ziel kann nicht einfach lauten, schneller und besser zu wachsen, als dies unter kapitalistischen Verhältnissen ohnehin geschieht. Der Sozialismus zeichnet sich nicht durch quantitative Unterschiede aus, er müsste etwas qualitativ anderes darstellen. (S.23)

16) So richtig nach Ausmessung klingt das nicht. Warum keine klaren Worte zur wesentlichen Bedingung der Entwicklung sozialstischer Transformationsprozesse, nämlich die Möglichkeiut eines öffentlichen, möglichst herrschaftsfreien Diskurs zu Fragen von Qualität und Quantität desssen, was (auf welche Weise und zu welchen sozio-ökologischen Kosten) herzustellen sei. Aber vielleicht kommt das später. Erst einmal weiter:
 
Es fällt hiernach der Name des Schweizer Ökonoms Hans-Christoph Binswanger, der ebenso wie die Autoren des Berichts an den Club of Rome Grenzen des Wachstums bereits von über 30 Jahren davon geredet hatte, dass man „Wachstumsgrenzen berücksichtigen“ muss. Zilek bemerkt, dass sich dessen einstiger Doktorant Joseph Ackenmann später, als er dann Chef der Deutschen Bank war, ganz und gar anders verhalten habe. Das zeige, wie wenig Wissenschaft ausrichten könne. In der Gestalt der beiden Poklitikwissenschaftler fragt sich diese im Anschluss aber immerhin, was Bissingers Behauptung, dass Kapitalismus nicht ohne Wachstum könne, für ihr Projekt der Utopievermessung bedeute.
 
17) Ging also der so genannte „Realsozialismus“ unter, weil deren Spitzenakteure es zu Beginn der 1970er Jahre versäumt hatten, ihrem Wirtschaftswachstum Grenzen zu setzen? Das können die beiden nicht wirklich meinen. Vielleicht war das Thema „Realsozialismus“ mit den vorherigen knappen Bemerkungen aber bereits abgehakt, so dass es unredlich wäre, ihnen diese Schlussfolgerung zu unterstellen. Unzweifelhaft kritikwürdig ist aber aus meiner Sicht, dass sie Binswanger anführen ohne zu erwähnen, dass dieser als geistiger Vater der Ökosteuer gilt, also der Idee, dem kapitalistischen Marktrwirtschaften mittels Ökosteuers ein Minimum an ökologischer Vernunft abzuringen.
Daran ließe sich auch besser die Frage anknüpfen, wie die Staaten des „Realsoziualismus“ sozialistischere Qualitätenentwickeln könnten. Immerhin schienen diese strukturell in der Lage zu sein, ihren „sozialistischen Waren“ politische Preise zu verpassen. Nur leider litt die sozialistische Qualität diese Fähigkeit – ebenso strukturell – an der Unmöglichkeit eines öffentlichen Meinungsstreits – nicht zu reden von Möglichkeiten der gesellschaftlichen Mitentscheidung über die zu setzenden Prioitäten des Produzierens. Die Preisgestaltung war geheim, unterlag dem ideologischen Gebot der „Einheit von Sozial- und  Wirtschaftspolitik“ und machte vor allem – koste was es wolle –  Grundnahungsmittel, Wohnen usw. biillig. Ausdruck des „realsozialistischen“ Parternalismus bzw. deren wenig „sozialistischen“ Rechtfertigungsbeziehungen.
 
Aber das Thema war nun Kapitalismus und Wachsdtumszwang
 
Elmar Altvater hob die Differenz zwischen Natur- und Kapitallogik hervor. Während die kapitalistische Ökonomie des Mehrwerts bedarf, (einem städigem Zuwachs an Kaufkraft) würde in ökologisch-stofflichem Sinne eigentlich nichts wachsen. Energie und Stoffe würden lediglich umgewandelt. Bereits Aristotelis habe zwischen (natürlichem) Haushalt und Geldwirtschaft unterschieden und die These aufgestellt, dass monetär erzeugte Überschüsse Gesellschaft und Natur schädigen. Vor der industriellen bzw. fossilistischen Revolution hätte es kaum Wachstum gegeben.(S. 24-25)
Vor dem Kapitalismus – vor der Trennung von Lohnarbeit und Kapital, vor der Umwandlung fossiler Energien in Arbeitsenergie, vor dem gesellschaftlichen Prinzip, ein Mehrprodukt und einen Mehrwert erzeugen zu müssen – gab es kein Wachstum.

Marx hätte im »Kapital«, Band 1 in einer Fußnote geschildert, wie einst ein Müller wegen Arbeitsplatz sparende Inovationen von aufgebrachten Zeitgenossen ersäuft worden sei. Ähnliches sei auf von Rom bekannt.

Es gab also über einen langen Zeitraum keinen Wachstums- und Innovationszwang, sondern, im Gegenteil, eher einen »Stagnationszwang« (S26)
Natürlich war das nicht nur schlecht, wie Raul Zilek erkannt:
Die vom Akkumulationszwang ausgelöste Dynamik eine rasante Entwicklung ermöglicht und das Leben unfassbar erleichtert. Oder zumindest könnte diese Dynamik (…) das Leben immens erleichtern, wenn man diese Entwicklung zugunsten der Gesellschaft und nicht zum Zweck weiterer Akkumulation nutzen würde (S. 27)
Das verkennt allerdings, dass trotz aller Ungleichkeiten genau dieser Zwang zur weiteren Akkumulation die Gesellschaft vorangebracht hat. Was natürlich ein Teil der Probleme ausmacht, die einem Vorhaben gegenüberstehen, das auf eine Reduktion von Ressourcenverbrauch setzt. (Raul Zilek entgeht damit also iauch ein wesentliches Argument gegen die gegenwärtigen Formen der Lohnabhängigkeit.)
 
 Elmar Altvater verweist auf die vielen Paradoxien des gewachsenen Reichtums, wie etwa Verkehrsstaus oder wenn das einsame Häuschen im Grünen allmählich zur steinernen Ödnis einer Reihenhaussiedlung wird, was zeige, wie individuelle Rationalität in gesellschaftliche Irrationalität umschlagen könne.
Wir sind gesellschaftliche Wesen, sind aber daran gewöhnt, unsere Entscheidungen individuell zu treffen, als gäbe es die Gesellschaft nicht. Wir haben es verlernt, gemeinschaftliche Entscheidungen, die unser individuelles Verhalten betreffen, in einem kollektiven Prozess zu fällen.

Der Liberalismus – und erst recht der Neoliberalismus – haben zu einer Verstümmelung der Gesellschaftlichkeit unserer individuellen Existenz geführt. Daher ist es in gewisser Weise konsequent, wenn Philosophen wie Peter Sloterdijk in einer Art kleinbürgerlich-kleinkariertem Poujadismus den Beitrag zum Gemein wesen in Form von Einkommenssteuern heftig und empört infrage stellen. Da singt Sloterdijk im Chor mit neoliberalen Ökonomen, lauten Medienstimmen und konservativen Politikern (S.28)
 
Zu Peter Sloterdijks rechtsliberalistische Privatego-Philosophie siehe auch den Beitrag in diesem Blog über Peterchens Mondfahrt. An E. Altvaters Situationsbeschreibung irritiert mich ein wenig die Projektion eines einstmals vorhandenen Bewusstseins der Gesellschaftlichkeit individueller Existenzen, die lediglich später verstümmelt wurde. Das Auseinandergerissensein der Rechtfertigungsbeziehungen kapitalistisch vergesellschafteter Idividuen und deren Institutionen ist auch keineswegs Resultat des Liberalismus. Der ist eher ideologischer Reflex, sicher auch Werkzeug der Ausgestaltung, aber einer grundsätzlich als Naturprozess ablaufenden Reproduktion privateigentümlicher Aneignungstrukturen (Aneignungsregeln, -beziehungen, -zwänge).    
Das Gespräch kommt nun auf die Geschichte der Wachstumstheorioen. Frühe Liberale, wie Stewart Mill, noch ganz von der ländlichen Welt geprägt, erwarteten, dass das Wohlstanmdswachstum irgendwann an sein Ende kommen und eine Zeit größerer muße anbrechen würde, Marx habe lediglich die Gesetzmäigkeiten der „erweitertern“ Reproduktion kapitalistischer Reichtumsakktumulation (in einem präkeren Verhältnises von Konsum- und Produktionsmittelproduktion und deren Elementen Kapital und Arbeit) herausgearbeitet. Erst die sowjetischen Wirtschaftstheoretiker hätten sich als Wirtschaftswachstumstheoretiker verstanden, angespornt durch die 1929er Weltwortschaftskrise der kapitalistischen Welt und der Idee, mittels mathematisierter Fünfjahrespläne ein krisenfreies Wachstum hinzulegen.
 
Es kam das Jahr 1929 und eine interessante Entwicklung trat ein: Die kapitalistische Welt brach in den Jahren nach dem Börsencrash ein, und in der Sowjetunion wurde der erste Fünf jahres plan umgesetzt. Während man in der UdSSR zweistellige Wachstumsraten verzeichnete, schrumpften die kaptalistischen Ökonomien um 20,30 Prozent. Die Antwort darauf ist bekannt: Die Keynes’sche Theorie setzte sich durch, wobei ganz ähnliche Konzepte unabhängig von Keynes auch von anderen Ökonomen entwickelt wurden. Es ging darum, die Stagnation zu überwinden. Erst vor diesem Hintergrund entwickelten Stagnationstheoretiker wie der  US-Amerikaner Alvin Hansen (1887 – 1975) in den Dreißiger- und frühen Vierzigerjahren Wachstumstheorien. Dabei ging es darum, den Vorsprung vor der Sowjetunion zu wahren.Heute wird das ja oft vergessen: Bis in die Sechzi gerjahre wuchs das sozialistische Lager – ab 1945 handelte es sich nicht mehr nur um die

Sowjetunion, sondern um mehrere Staaten in Ost- und Mitteleuropa sowie Asien – deutlich schneller als die westlichen Länder. Mit dem aufkommenden Systemwettbewerb wurde die Wachstumsrate zum Erfolgsindikator. Erst seitdem ist Wachstum ein so fetischartiger Begriff. (S.30-31)
 
Morgen mehr.
 
hh (am 02.9.14)

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